Oh du meine Güte, das war soeben eindeutig wieder einmal ein kleines
bisschen zu viel Action. Am Vormittag machte ich mich von meinem Hotel auf
Sansibar auf nach Stonetown, von wo aus am Nachmittag die Fähre losfuhr (dort
wurde auf mein Ticket übrigens als Nationalität Australien angegeben. Als ich
sagte, dass ich aus Österreich komme, wurde ich folgendes belehrt „You know,
Austria and Australia is the same“ Aha, gut zu wissen. Tja, dann mach ich heute
eben mal einen auf Australier, warum auch nicht). Da ich bereits um 17 Uhr in
Dar Es Salaam war, mein Flug jedoch erst um Mitternacht ging und auch ein
bisschen des Geldes wegen (was Transportmittel anbelangt bin ich ziemlich
geizig, dafür gebe ich irrsinnig gerne und viel Geld für gutes Essen und fancy
Kleidung aus) beschloss ich, anstatt eines Taxis auf die abenteuerliche Art und
Weise zum Flughafen zu gelangen: Mit dem Bus. So fragte ich an der
Schiffsanlegestelle wahllos einen jungen Mann, wie ich denn zur Busstation
komme. Dieser meinte hilfsbereit, dass er heute ohnehin nichts mehr vorhabe und
mich gerne zum Bus bringen konnte. Dankbar nahm ich das Angebot an, heilfroh
Hilfe beim Tragen meiner Siebensachen zu haben. Bei der Busstation angekommen,
herrschte wie immer pures Chaos und mein Beistand bot mir an, mir bis zum
Flughafen Gesellschaft zu leisten. Ich freute mich und wir stiegen in den
nächsten Bus. Wie schon so oft zuvor vertraute ich einem Fremden blind, nun ja,
der kleine Kontrollfreak in mir fragte zur Sicherheit drei Businsassen, ob dies
eh der richtige Bus zum Flughafen war- alle bejahten. Im Nachhinein gesehen
mussten mich diese wohl falsch verstanden haben oder aber eine Frage nach dem
Motto „Alle Wege führen nach Rom“- oder eben zum Flughafen beantwortet haben.
Denn knappe zwei Stunden später erreichten wir die Endstation und weit und
breit war kein Flughafen zu sehen. Ich wurde panisch, doch mein Begleiter
beruhigte mich, entschuldigte sich tausend Male und versprach, sofort einen
Freund, der Taxifahrer war, anzurufen. Eine weitere halbe Stunde später kam
dieses Taxi, ein Dala Dala- das sind irrsinnig günstige, dafür aber absolut
nicht komfortable, Fortbewegungsmittel auf drei Rädern. Wir sprangen hinauf und
ich wiederholte mindestens zehn Mal, dass ich unbedingt zum Flughafen musste
und zwar so schnell wie möglich. „Hakuna Matata“- kein Problem. Ach wie oft ich
diese Phrase nun schon zu Ohren bekommen habe, bald habe ich genug davon! Wir
fuhren und fuhren, ich schwitzte wie Sau in der stehenden Abendhitze und zu
meinem Schweiß gesellte sich eine dicke Staubschicht hinzu, denn Dala Dala’s
haben weder Fenster, noch Türen. Als wir nach geraumer Zeit in ein verlassenes
Gebiet kamen und ich abgesehen von meinem Begleiter, sowie dem Dala Dala Lenker
keine Menschenseele mehr sah, bekam ich es mit der Angst zu tun. Als der Dala
Dala Lenker dann noch dazu den Rückspiegel so einstellte, dass er mich genau im
Blickfeld hatte, war ich fest davon überzeugt, dass alles geplant war, ich als
dummes Naivchen so kurz vor meinem Heimflug in eine Falle getappt sei und mein
letztes Stündchen geschlagen hat. Ich versuchte, mir alles in den Kopf zu
rufen, was ich im Selbstverteidigungskurs gelernt hatte. Blöd nur, dass dieser
12 Jahre aus ist... Entspannung sei mir offensichtlich nicht lange gegönnt. Während
ich mir überlegte, meinen Entführern zuvor zukommen und Selbstmord zu begehen,
indem ich aus dem Dala Dala sprang, sah ich plötzlich einen Wegweiser, auf dem
Airport stand. Ich war heilfroh und als wir schließlich ankamen, fiel ich
meinem Begleiter um den Hals und bedankte mich überschwänglich. Dieser meinte
„Kein Problem. Weißt du, ich bin in einem Waisenheim aufgewachsen und wurde von
Weißen großgezogen. Und jetzt versuche ich, das alles in irgendeiner Art und
Weise zurückzugeben. Jeder bekommt, was er verdient“. Ich war gerührt und
lächelte. Ich hatte ihm nicht erzählt, dass ich hier in einem Waisenhaus
gearbeitet habe.
Im Gebäude angekommen, erlebte ich das erste Mal Stress in meinen
sieben Monaten Afrika. Ich war viel zu spät und die Angestellten taten alles,
um meinen Flug noch zu erreichen. Es war knapp, doch ich schaffte es. Der
Flughafen ist zum Glück sehr überschaubar, es gibt nur fünf Gates, dafür aber
eine Moschee. Es ist Mitternacht und ich fliege nach Hause. Ich realisier’s
immer noch nicht ganz, es ist so unwirklich, nach über zwei Monaten. Aber ich
freue mich riesig! Ich esse gerade die dritte Packung Bananenchips, die
ursprünglich als Mitbringsel gedacht wäre. Sorry Freunde, bei meiner nächsten Reise
werde ich euch etwas nicht-essbares mitbringen, denn offensichtlich ist es nur
dann vor mir sicher. Ich komme mir ein bisschen wie ein Ureinwohner vor: Ich
trage staubige, verschwitzte Kleidung, die die vergangenen Wochen bloß mit der
Hand gewaschen wurde- was aufgrund der unzähligen Flecken auch bedauerlicherweise
nicht zu verbergen ist. Mein übergroßer Backpackerrucksack ist vollgestopft mit dutzenden Mangos, deren Konsistenz mittlerweile einem Pudding ähnelt und wunderschönen, buntgemusterten Tüchern in all erdenklichen Farben. Ich bin
jetzt wohl für den Rest meines Lebens mit Stoffen eingedeckt und weiß zwar noch
nicht, was ich damit machen werde, aber eine Nähmaschine werde ich mir auf alle
Fälle zulegen, um daraufhin bei meiner Oma Handarbeitsunterricht nehmen zu
können.
00:00 Das Flugzeug hebt sich. Unter uns ein Lichtermeer, über uns ein
Ozean aus Sternen.
00:45 Obwohl ich auf Sansibar durch Oktopus-Curry, exotischen Fruchttellern,
Seafood-Salaten, Shrimps-Spagetthi und Ähnlichem wie Gott in Frankreich lebte,
male ich mir aus, was ich morgen alles essen möchte: Salzige Erdnüsse,
Kinder-Pinguin, frischgebackenes Joseph Brot mit selbstgepflücktem Bärlauch, Nuss-Nougat
Schokolade, Käsespätzle, Stratitella-Joghurt, Rote Rüben Salat, Sushi, Eisgreissler-Eis,
Marillenknödel, Frittatensuppe, lauwarmen Schokokuchen. Am besten alles auf
einmal bitte.
00:50 Als hätte der Steward meine Gedanken gehört, teilt er nun das
Essen aus. Es gibt Hühnchen und Pasta. Ich bin hungrig und kann mich nicht
entschieden. Der Steward reicht mir beide Gerichte und zwinkert mir zu. Ich
freue mich, als hätte ich im Lotto gewonnen. Sagt noch einer, es ist nicht
einfach, Frauen glücklich zu machen!
03:15 Uhr: So sehr ich mich auf das Wiedersehen mit meinen Liebsten
freue, ein bisschen Wehmut schwingt dennoch mit, nach über zwei Monaten Adieu
zu Tansania sagen zu müssen. Es wird mir erst jetzt bewusst, dass ich meine 17
Waisenkids womöglich nie wieder sehen werde. Ich heule über den Ozean hinweg
und wünsche mir, meine Gefühle ausstellen zu können.
03:30 Meine Sitznachbarin reicht mir wortlos ein Taschentuch. Ich
glaub sie ist genervt von mir und will schlafen. Doch ich bin viel zu
aufgewühlt um überhaupt an Schlaf zu denken zu können.
04:15 Wusstet ihr, dass es in Flugzeugen keine Reihe 13 gibt?
04:35 Ich trinke viel zu viel Tomatensaft und muss ständig auf die
Toilette, worüber mein Sitznachbarin nicht besonders erfreut ist.
06:00 Ich habe den Überblick verloren und hab keine Ahnung, wie spät
es ist, denn ich weiß nicht mehr, ob ich die Uhr meines Macbooks nun schon
aufgrund der Zeitverschiebung nach vorne gestellt habe oder nicht. Auf jeden
Fall geht gerade die Sonne auf. Ich liebe es, den Sonnenaufgang vom Flugzeug
aus zu sehen, doch ich bin die einzige Person im gesamten Flugzeug, die
scheinbar Gefallen daran findet, denn die restlichen Leute lassen alle ihr
Fenster geschlossen.
06:20 Die blitzblaue KLM Flugzeugdecke habe ich als Poncho
umfunktioniert und dennoch friere ich. Und das obwohl ich nur vor etwa 8
Stunden verschwitzt auf einem Dala Dala gesessen bin und dieses Mal sogar eine
lange Hose trage (am 24. Dezember kam ich aus Südafrika bloß in kurzen Shorts
und Flip Flops in Wien an). Ich möchte es einmal, nur ein einziges Mal
schaffen, im Zuge eines Langstreckenflugs stilvoll zu verreisen. Doch das wird
vermutlich der letzte Langstreckenflug für eine ganze Weile sein. Obwohl als
ich am 24. Dezember nach Hause flog, dachte ich das auch und nicht einmal drei
Wochen später machte ich mich mit Sack und Pack auf nach Tansania.
06:50 Wir bekamen soeben Wasser in Plastiksäckchen gereicht, doch
warum zum Teufel gibt’s die? Ich bin von oben bis unten bekleckert, zum Glück
ist es nur Wasser.
08:00 Ich musste gerade in Amsterdam umsteigen. Obwohl eigentlich
keine Zeit für den Duty-Free-Shop gewesen ist, habe ich dennoch einen kurzen Abstecher
hinein gemacht. Es war der reinste Luxus! Ich habe meine geschwollen Augen mit
Chanel Concealer kaschiert und jeden Körperteil mit einem anderen Parfum
eingesprüht. Zumindest bin ich jetzt ein nach Gucci, Prada und Dior riechender
Ureinwohner.
08:20 Es ist so ungewohnt, Frauen in Hosen zu sehen!
8:55 Im Gegensatz zu den anderen Menschen bin ich irrsinnig braun und
ich bereite mich mental schon mal auf die Solarium-Witze meiner Freunde vor.
09:00 Ich bin müde. Sobald ich zuhause, oder besser gesagt in der
Wohnung meines Freundes bin, werde ich mich im Bettchen verkriechen und nichts
tun. Bloß vielleicht die Nachrichten und Blogposts der letzten zwei Monate
nachlesen. Und Girls schauen! Und dann, ab morgen, bin ich bereit für die
Zivilisation. Ich möchte mich mit all meinen Freunden treffen, war ja jetzt so
lange nur mit mir selbst beschäftigt, was manchmal ziemlich anstrengend war.
Nur ich. Nur meine Gedanken. Doch es hat so gut getan. Doch ab morgen werde ich
Wien erobern, ich werde schick essen gehen, einen ausgedehnten Spaziergang im
ersten Bezirk machen, mir eine Pediküre, Massage und einen neuen Haarschnitt
gönnen, unvernünftig sein und Kleidung kaufen, die ich eigentlich nicht
brauche. Ich habe Verlangen, endlich wieder ein anderes Leben führen zu können
und schätze mich unheimlich glücklich, nach Lust und Laune entscheiden zu
können, welches Leben ich führen möchte.
11:15 Uhr Der Pilot setzt zum Landeflug an. Ich hab’s überlebt! Keiner
der Befürchtungen meiner Großmutter traf ein: Ich wurde weder beraubt,
hintergangen, zwangsverheiratet oder vergewaltigt, noch bin ich an Malaria
erkrankt, im Meer ertrunken, von einer Kokosnuss erschlagen worden oder
aufgrund eines Flugzeugabsturzes umgekommen (diesbezüglich ist sie sehr
einfallsreich, ich würde nicht in meinen kühnsten Träumen auf solche Ideen
kommen). Dafür durfte ich die wertvollste Erfahrung meines bisherigen Lebens
machen und die wunderbarsten Waisenkids der gesamten Welt kennen- und lieben
lernen. Zwar hatte ich oftmals Schwierigkeiten, mit der Kultur Tansanias
klarzukommen, die Langsamkeit, die mich nicht nur einmal zur Weißglut brachte, die
Hygiene, oder besser gesagt die Unhygiene, die Stellung der Frau, das Essen, Kübelbäder
in eiskaltem Wasser, das frühe Aufstehen, das Ausmisten der Tiere, das harte
Arbeiten auf den Feldern. Ich musste oft die Zähne zusammenbeißen, habe nicht
nur einmal mitten in der Nacht tränenreiche Briefe an meinen Freund
geschrieben, weil ich kein Internet zur Verfügung hatte. Es war ein komplett
neues Gefühl, in einem fremden Land, so fern von zuhause, ein bisschen verloren
zu sein. Doch die Kinder haben mir Halt gegeben. Sie haben mir so viel Liebe
geschenkt und mir gezeigt, was im Leben wirklich zählt. Sie sind unheimlich
glücklich und das, obwohl sie weder Warmwasser, noch Strom oder einen Nintendo
haben. Das Abenteuer Tansania ist vorbei. Ich heule wieder. Ein bisschen
aufgrund Wehmut, ein bisschen aufgrund Vorfreude, ein bisschen, weil ich stolz
auf mich bin. Wir können so viel mehr, als wir uns manchmal zutrauen.
ich find mich in deinen Erzählungen total wieder. war letztes Jahr für 4 Monate in Ghana und hab dort auch in einem Waisenhaus gearbeitet. Aber nicht nur mein Aufenthalt dort, sondern vor allem auch das Heimkommen hat sich genau so angefühlt. schön :)
AntwortenLöschengut zu wissen, dass mein gefühlschaos normal ist :) liebe grüße!
LöschenDanke, danke, danke das du uns an deinem Afrika-Abenteuer teilhaben hast lassen! Habe deine Posts so gerne gelesen und bin wirklich wahnsinnig beeindruckt von deinem Mut!
AntwortenLöschenliebe christine,
Löschendanke, das freut mich wirklich SEHR!!!
dicke umarmung :)