(Yona, Lukemelo, Elia mit seinem Fußball,
der bloß aus Papier besteht, Frankie, Akwarino und Elisha)
Montag, 16. Februar 2015
Heute war ich mit zwei unserer Mädls, die
über Zahnschmerzen klagten, beim Zahnarzt in der Stadt und ich sag’s euch, das
war vielleicht ein Erlebnis! Es war das erste Mal, dass die beiden in der
Stadt, die eigentlich eher einem etwas größeren Dorf ähnelt, waren und bei
jedem Auto, das vorbeifuhr, krallten sich ihre schweißnassen Finger in meine.
Sie hassten den Tumult und schworen sich immer wieder, von nun an ganz brav
Zähne zu putzen, um nie wieder in die Stadt zu müssen. Der Besuch beim
Zahnarzt, der sich im nächstgelegenen Krankenhaus, wo es nur so vor lauter
offenen Wunden wimmelte und auch dementsprechend erbärmlich roch, befand, war
auch für mich Abenteuer pur. Den Mädchen wurden insgesamt drei Zähne gezogen,
-offensichtlich gibt’s in Tansania keine Plomben- wofür wir umgerechnet bloß
1,50 Euro bezahlten und währenddessen durfte ich ihre kleinen, zitternden Hände
halten. Eliza hüpfte erschrocken vom Stuhl auf, als dieser von der Ärztin
hochgefahren wurde, um besser in ihren Mund sehen zu können und als ihr erster
Zahn gerissen wurde, schrie sie so laut, dass ich befürchtete, einen Gehörschaden
zu erleiden. Atu machte vor Aufregung in die Hose, oder besser gesagt in ihr
Röckchen und auf den Zahnarztstuhl und ich sah überall nur Blut, war innerlich
panischer als beide Mädchen zusammen, versuchte aber, mir nichts anmerken zu
lassen. Uhekule, das 1200 Einwohner Dorf, in dem ich derzeit lebe, hat nämlich
verhältnismäßig gesehen die meisten HIV Kranken Tansanias, es vergeht keine
Woche, an dem kein Aids-Kranker stirbt und niemand weiß, wer von unseren
Kindern das Virus in sich trägt. Während den Mädchen die Zähne gerissen wurden,
klopfte mein Herz bis zum Hals, ich sah mein Leben an mir vorbeiziehen und
betete zu allen Göttern gleichzeitig, mir doch im Gegenzug zu den guten Taten,
die ich momentan leiste, noch einmal einen Bandscheibenvorfall oder ähnliches
zu schicken, solange ich nur irgendwie von HIV verschont bleibe. Ich sah
überall nur Lebenssaft- besonders Atu blutete enorm, doch im gesamten
Krankenhaus gab es kein Taschentuch oder ähnliches und so stopfte ich
provisorisch meine Not-Slipeinlage, die ich zufällig in meiner Tasche hatte, in
ihren Mund, aus dem regelrecht Blut quoll. Zum Glück wusste keiner, was das
ist, da die Frauen hier während ihrer Menstruation bloß wiederverwendbare
Stofftücher benutzen. Ich war heilfroh, als wir das Krankenhaus verließen, aber
auch die Heimfahrt mit dem Taxi stellte sich wieder einmal als irrsinnig
aufregend heraus. Die Mädels wussten nicht, wie man eine Autotür öffnete und zwar
waren dieses Mal nur die Beiden, der Taxifahrer und ich im Auto, dafür aber noch
Unmengen an Kartons, die allesamt mit Lebensmittel für die benachbarten Dörfer
gefüllt waren. So mussten wir uns zu dritt den Beifahrersitz teilen und da Atu
aufgrund ihres kleinen Malheurs ein komplett nasses Röckchen hatte, stellte
sich dies als dezent schwierig dar. Wir drifteten dann über drei Stunden durch
die Gegend, die Schlaglöcher auf den Erdstraßen sind derzeit schlimmer als je
zuvor und erneut sah ich mein Leben an mir vorbeiziehen. Mein Kopf schmerzt und
ich bin davon überzeugt, einige Beulen und Schrammen von der Fahrt mitgenommen
zu haben, doch immerhin sind wir heil im Waisenhaus angekommen, bloß halt mit
drei Zähnen weniger.
(Njombe, die nächstgelegene Stadt, in der
ich einmal pro Woche bin, um Lebensmittel-Einkäufe zu tätigen)
Dienstag, 17. Februar 2015
Oh du meine Güte, ich sehne mich soooo sehr
nach einer richtigen Dusche, mit hartem Strahl, abnehmbaren Duschkopf und allem
Drum & Dran. Ich bin am überlegen, ob ich mich mal für ein paar Minuten in
den Regen stellen soll. Anscheinend wächst man da ja sogar -zumindest behauptet
das meine Oma- und der eine oder andere Zentimeter würde mir als 1,59 Meter
Winzigkeit ohnehin nicht schaden. Auf den Regen kann man sich hierzulande -ganz
im Gegenteil zu den Menschen, die einem gerne mal ein paar Stündchen, manchmal
sogar Tage, warten lassen, was mein Gemüt nicht gerade himmelhochjauchzen lässt-
jetzt im Sommer, wenn Regenzeit vorherrscht, immer verlassen. Während morgens
und am frühen Nachmittag die Sonne für ein angenehmes Kribbeln auf der Haut
sorgt, zieht tagtäglich pünktlich um 16 Uhr ein Regenschauer durchs Land, der die
Tropfen gegen die undichten Fensterscheiben prasseln lässt, wie ich es zuvor noch
nie erleben durfte. Wenn es draußen stürmt, als ginge die Welt unter, nutzen
die Kids und ich die Gunst der Stunde, um in der heimeligen Wärme des Holzofens
zum Klang der Regentropfen zu tanzen, begleitet durch Discofeeling von hellaufleuchtenden
Blitzen, die uns jedes Mal für einen kurzen Moment erstarren lassen, während
ein pures Glücksgefühl in mir aufsteigt, das für ein lang anhaltendes,
unheimlich angenehmes Prickeln im Bauch sorgt.
Mittwoch, 18. Februar 2015
Meine Geschmacksnerven lechzen nach
künstlichem, süßen Zeug, weshalb ich esse, esse und esse, als könnte mein Körper
durch Masse die Lebensmittel kompensieren, die er vermisst.
Donnerstag, 19. Februar 2015
Unsere Burschen haben sich heute ein
Fußballtor gebaut und da sie keinen Ball besitzen, fabrizierten sie einen aus
Papier. Obwohl, oder vielleicht auch weil ihre Augen voller Stolz und Freude funkelten,
konnte ich mich kaum beherrschen, nicht vor ihnen in Tränen auszubrechen.
(Elisha beim Fußballspielen)
Freitag, 20. Februar 2015
Vor ein paar Tagen passierte mir ein
Fauxpas, der auf einer Peinlichkeitsskala von 0-100 die 100 zweifellos weit
überschreiten würde. Es geschah Folgendes: Ich wollte einen Pfirsichkern ganz
locker-lässig ins nächstgelegene Feld werfen, wobei dieser blöderweise exakt
auf dem Kopf eines etwa 2,5 Meter schräg neben mir schreitenden Mannes
aufprallte. Daran war wohl eine ganz plötzlich aufkommende Windböe Schuld-
anders kann ich mir dieses Malheur absolut nicht erklären, denn abgesehen von
diesem Menschen war weit und breit kein Hindernis in Sicht, was wohl nicht gerade
für meine Zielgenauigkeit spricht. Diese ähnelt zum Glück des Mannes meiner
Wurfstärke und während ich mir wünschte, vor Scham im Erdboden zu versinken,
mutierte mein Gesicht farblich zu einer überreifen Tomate- zumindest fühlte es
sich ganz danach an. Und als wäre das nicht schon genug, musste ich plötzlich
lauthals losprusten, da diese Situation so verrückt komisch war- der Mann
fand’s im Gegensatz zu mir ganz und gar nicht lustig. Aufrichtig entschuldigen
konnte ich mich nicht, denn weiter als „Guten Tag“, „Bitte“, „Danke“, „Kartoffel“
und „Nein, ich möchte Sie nicht heiraten“, reicht mein Swahili-Wortschatz
leider noch nicht. Von dem Missgeschick habe ich mich bis heute nicht erholt
und mein Gesicht nahm Farbe an, während ich diese Zeilen schrieb- eindeutig
genug Peinlichkeit fürs nächste Jahrzehnt!
Samstag, 21. Februar 2015
Von gestern auf heute gönnten sich Courtney
(eine ehemalige Freiwilligenarbeiterin des Waisenhauses, die sich während ihres
Aufenthaltes in einen Einheimischen verliebte, mit dem sie jetzt ein Baby hat) und
ich eine kleine, aber feine Auszeit in der nahegelegenen Stadt Njombe. Wir
übernachteten im gleichen Quartier, in dem ich auch vor exakt fünf Wochen,
abgesehen von Dar Es Salaam, meine erste Nacht in Tansania verbrachte. Obwohl
die Unterkunft schmuddeliger als die schmuddeligste Jugendherberge, in der ich
im Laufe meiner Teenagerjahre genächtigt habe, ist, fand ich’s -im Gegensatz zu
vor fünf Wochen- megamäßig luxuriös und das, obwohl eine Nacht inklusive
Frühstück gerade Mal 3 Euro kostet. Ich duschte stundenlang mit brodelndem
heißem Wasser, ohne Rücksicht auf die restlichen Hotelgäste, was dazu führte,
dass ich vor lauter heißem Dampf im Badezimmer meinen Körper nur mehr erahnen
konnte. Daraufhin bestellte ich Gemüsecurry, Omelette, Kartoffelchips, frisch
gepressten Avocadosaft, Käsetoast, eine krapfenähnliche Mehlspeise und drei
Snickers, aß alles im Nu auf, bestellte das gleiche noch einmal, leckte mir
genüsslich die Finger, passe ich mich seit geraumer Zeit den Einheimischen, die
bloß mit ihren Fingern essen, an, und füllte mich wie eine Adelige. Bevor ich
ganze 10 Stunden durchschlief, ja ich stand das erste Mal seit rund 35 Tagen
nach 5 Uhr morgens auf, saßen wir im Dunklen am behaglichen Holzofen, lauschten
dem Knarren des Holzes und tranken Bier, dass ich normalerweise hasse, doch
hier genoss ich jeden einzelnen Schluck, ist es doch eine willkommene
Abwechslung zu schlammfarbenen, nach Schlamm schmeckendem Wasser.
Sonntag, 22. Februar 2015
Meine 17
Sprösslinge berühren mein Herz jeden Tag aufs Neue. Obwohl oder vielleicht auch
gerade weil, viele von ihnen bis zu den Tag, als sie zu uns ins Waisenheim
kamen, keine Liebe erfahren durften und sie nach wie vor tagtäglich in der
Schule geschlagen werden, quellen sie regelrecht über vor lauter Liebe. Sie
streicheln mich, flechten mir Zöpfchen, versuchen, den Schmerz aus meinem
aufgrund ungewohnt anstrengender, körperlicher Arbeit schmerzendes, Bandscheibenbein,
herauszumassieren. Sie sind so selbstständig, putzen, waschen, arbeiten auf den
Feldern und das, obwohl sie jeden Tag um 5 Uhr morgens aufstehen. Sie halten
zusammen, als wären sie eine große Familie und bis heute habe ich kein einziges
Kind weinen oder klagen gesehen. Sie sind irrsinnig leicht zu begeistern, vor
ein paar Tagen liefen sie beispielsweise alle aufgeregt auf mich zu, um an
meinen Händen, die nach Bodylotion dufteten, zu schnuppern. Als sie sahen, wie
ich durch ein deutsches Modemagazin blätterte, konnten sie es gar nicht fassen,
welch Dinge es in anderen Ländern gibt. Sie lieben es, fotografiert zu werden,
sind fasziniert von der Technik. Wenn wir auf unseren Laptops, die wir dank
großzügigen Sponsoren aus Amerika besitzen, arbeiten, ist das bloße Ein- und
Ausschalten des Geräts schon ein riesen Abenteuer und als ich ihnen das
Programm „Paint“ zeigte, waren sie hin und weg. Sie wirkten so unbeholfen und
wussten nicht, wohin mit den Fingern, geschweige denn wie man auf eine Maus
klickt. Als mich vor einigen Wochen ein Mädchen fragte, ob sie meinen
ausgelöffelten Joghurtbecher haben kann, bereitete ich ihr die größte Freude
überhaupt- sie trinkt bis heute tagtäglich daraus. Langweilig ist den Kids nie,
sie wissen sich immer zu beschäftigen, sei es Kaspertheater spielen mit fantasievoll
bemalten Steinen, Seilspringen mit zusammengeknüpften Gras, trommeln auf bloßen
Holzstämmen und der größte Trend überhaupt ist derzeit das Fertigen von
Steinschleudern und Pfeil und Bogen. Jeden Freitag und Samstag gucken wir,
ebenso dank reichen Sponsoren aus Amerika, Filme- das ist für die Kids das
allergrößte überhaupt. Heute bereiteten die Burschen, die alle ein bisschen
verliebt in mich sind und alles dafür geben, um mich zu beeindrucken, aufgeregt
eine Überraschung für mich vor: Sie stempelten sich Bilder an die Innenseite
ihres Oberarms, genau an die Stelle, wo ich ein Tattoo trage. Die Mädchen sehen
in mir eine Art große Schwester, ich bin ihr größtes Vorbild und hab eine große
Menge Einfluss auf sie. Mit diesen Kindern habe ich eindeutig den größten Glücksgriff
überhaupt getroffen, manchmal weiß ich gar nicht, wohin mit der ganzen Liebe.
(Elia mit
aufgestempelten Tattoos)
(auf diese Art und
Weise werden in Tansania die Kleider getrocknet)
(Elisha mit seiner
Schultasche)
(obligatorische
Katzenfotos)
(Njombe)
Wie schön <3 Auf diese Wochen wirst du bestimmt dein Leben lang voll Stolz zurückblicken. Und über das Pfirsichkernerlebnis vollen Herzens lachen ;)
AntwortenLöschenxox Sabrina
ja das denk ich auch, ich werde dieses abenteuer niemals vergessen. danke liebe sabrina :)
Löschen